Die Wiener Kalbsküche
Weltweit gibt es unterschiedliche Küchen, aber es gibt auf der ganzen Welt nur eine einzige Stadt, die von sich behaupten kann, dass sie eine eigene Küche hat, nämlich Wien. Die Wiener Küche ist entstanden, als Wien noch die Hauptstadt der gigantischen Donaumonarchie war. Die Stadt war damals ein Schmelztiegel von nicht weniger als sechzig unterschiedlichen Nationalitäten. In den Küchen arbeiteten hauptsächlich Menschen vom Land. Nicht verwunderlich also, dass diese die Bauernküche mit in die Stadt brachten. In der armen Bauernküche wird nichts weggeworfen, alles wird verwertet. Aus diesem Grund existieren in Wien bis heute noch viele unterschiedliche Schnittführungen für das Zerteilen von Fleisch. Das sehen wir auch beim Tafelspitz mit den fingerdicken, quer geschnittenen Scheiben des Schwanzstücks. Der Tafelspitz gehört zusammen mit dem Schnitzel zu den österreichischen Nationalgerichten.
Im Restaurant Plachutta wird der Tafelspitz täglich 800 bis 1000 Gästen serviert. Massenproduktion, könnte man sagen. Aber nicht ohne die Liebe fürs Detail. Es war der Kaiser Franz Joseph, der diesem Gericht seine Popularität verlieh, indem er es zu seinem Leibgericht erklärte. Mario Plachutta hatte einen Sternekoch als Vater, Ewald Plachutta. Dieser schrieb diverse Kochbücher und machte sich zum Botschafter der traditionellen Wiener Küche. Mario trat in die Fußstapfen seines Vaters - und nicht ohne Erfolg. Sein Imperium umfasst mittlerweile 6 Restaurants, 350 Mitarbeiter und gut eine Million Gäste pro Jahr. Wir werden zu Tisch gebeten, damit das Ritual des Tafelspitzes beginnen kann.
Zwei Warmhalteplatten kommen auf den Tisch, zusammen mit einem großen Kupfertopf, in dem sich der Tafelspitz befindet. Danach werden unsere Suppentassen mit Bouillon gefüllt. Für unsere Suppe stehen uns drei Einlagen zur Auswahl: in Streifen geschnittene salzige Pfannkuchen (die sogenannten Frittaten), Nudeln und gesalzene Croûtons. Der nächste Schritt betrifft das Knochenmark. Dieses wird aus der Bouillon herausgefischt und auf eine Scheibe geröstetes Schwarzbrot gestrichen und mit Pfeffer und Salz bestreut. Danach geht man zum nächsten Schritt über. Auf die Warmhalteplatten werden nun mehrere kleine Kupferpfannen gestellt. Darin befinden sich Bratkartoffeln, Rahmspinat, Apfelkren (Apfelmus mit geriebenem Meerrettich), Schnittlauchsoße und geriebener Meerrettich. Als ob dieses Hauptgericht nicht ausreichen würde, werden wir anschließend noch mit einem Kalbsbeuschel verwöhnt. Dies ist ein Eintopf aus den fein geschnittenen Innereien vom Kalb. Unser Fazit? Die Wiener Küche ist eine Bauernküche mit delikaten Geschmacksrichtungen.
Das echte Wiener Schnitzel
Wir kennen kein anderes Gericht, das die Gemüter so sehr beschäftigt wie das Wiener Schnitzel. Stammt es ursprünglich aus Italien oder haben die Italiener es von den Spaniern übernommen, die es ihrerseits womöglich von den Arabern abgeguckt haben? Zwar gibt es zu diesem Thema eine Vielzahl von Theorien und Veröffentlichungen, aber für ein echtes Wiener Schnitzel fahren wir einfach nach Wien. Dabei stellt sich natürlich die große Frage, in welchem Restaurant es die besten Wiener Schnitzel gibt. Der Name, der in diesem Zusammenhang von Kennern am häufigsten genannt wird, ist Figlmüller. Wir brechen zu einem Restaurantbesuch auf und treffen dort Thomas Figlmüller, der dieses Restaurant in der vierten Generation führt. Sein Urgroßvater Johann hatte ein kleines Restaurant in dem Ort Brauhaus und übersiedelte 1905 mit seinem Geschäft nach Wien. Seit über hundert Jahren hat sich hier kaum etwas verändert. Johann führte ein strenges Regiment und forderte von seinen Köchen immer größere Schnitzel. Ein frustrierter Koch schlug so lange auf das Fleisch ein, dass sein Schnitzel das größte von ganz Wien wurde. Und das ist seither so geblieben. Chefkoch Markus Brummer, den wir in der Küche antreffen, erklärt uns gern die von ihm angewandte Technik des Schnitzelklopfens. Die Bezeichnung Wiener Schnitzel darf er nur verwenden, wenn es sich dabei um Kalbfleisch handelt, so steht es im Gesetz. Aber, so warnt er, es gebe diverse Restaurantbesitzer, die Schweinefleisch verwenden und dieses unter dem Namen "Wiener Art" auf die Speisekarte setzen. In seinen Augen ist das verwerflich. Der Chef nimmt ein Messer und zeigt uns, wie er die Spitze der Kalbskugel mit einem schönen Schmetterlingsschnitt aufklappt. Er legt das Fleisch unter eine Folie und klopft dann mit der flachen Seite des Fleischhammers vorsichtig darauf. Wenn ein Riss entsteht, dreht er den Hammer um und klopft den Riss mit der genoppten Seite wieder zu. Sobald das Fleisch flach genug ist, wird es gesalzen und in Mehl gewälzt. Dieses Mehl ist grob gemahlen und sorgt dafür, dass sich das Paniermehl in der Pfanne vom Fleisch löst, sodass das Fleisch schön aufgehen kann. Das ist nämlich ein typisches Merkmal des Wiener Schnitzels. Das in Mehl gewälzte Fleisch wird nun abwechselnd in einem Bad aus verquirlten Eiern und in einem Bett aus Brotkrumen gewälzt. Dazu verwendet man ausschließlich Kaisersemmeln, die im Backofen getrocknet und danach zerstoßen werden. Das Schnitzel kann jetzt gebraten werden. In einer großen Pfanne wird reichlich Butterschmalz mit Pflanzenöl vermischt. Das Fett muss 180 °C heiß sein, was der Chef mittels eines Brotkrümels überprüft. Wenn das Brot nicht mehr zischt, ist die ideale Temperatur erreicht. Etwa eine Minute später hat das Schnitzel eine schöne, leicht aufgegangene goldbraune Kruste. Das perfekte Wiener Schnitzel, so erklärt uns Markus, darf sich nicht mit Fett vollsaugen: "Man muss sich darauf setzen können, ohne dass es einen Fettfleck hinterlässt!" Kann der Patron Thomas nach so vielen Jahren überhaupt noch Wiener Schnitzel sehen? Allerdings, jeden zweiten Tag degustiert er eines aus Gründen der Qualitätssicherung. Dazu isst er immer den Kartoffelsalat nach dem alten Rezept seiner Großmutter.