Die ersten

Chefköche

Nach seinen Erwähnungen im Neuen Testament begegnen wir dem Mastkalb im Laufe der Jahrhunderte kaum noch in Schriftstücken oder Abbildungen. Das ist nicht verwunderlich, denn im düsteren Mittelalter waren die Menschen den kulinarischen Genüssen nicht so zugetan. Eines der seltenen Gemälde, auf denen ein Kalb als Schlachttier dargestellt wird, ist im 16. Jahrhundert von Pieter Aertsen gemalt worden. Es zeigt den üppigen Reichtum an Lebensmitteln in seiner Zeit, vergisst aber auch nicht, als Kontrast im Hintergrund eine Schar von Bettlern darzustellen. Zwischen einer Vielzahl von Schinken, Pasteten, Butter, Würsten und Geflügel prangt der Kopf eines Mastkalbs prominent im Vordergrund. Auch Rembrandt malte ein Mastkalb, das beim Metzger am Haken hängt.

Der üppig gedeckte Tisch mit köstlichen Gaumenfreuden geht auf die Leidenschaft für gutes Essen des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. zurück. Er lebte in einer bizarren Zeit voll liederlicher Maßlosigkeit. Gefüllte Pfauen und Schwäne wurden in ihrem kompletten Federkleid serviert. Einer der ersten Chefköche der Geschichte war François Vatel. Er beging 1671 im Schloss von Chantilly während eines Banketts, das sein Herr, der Prinz von Condé zu Ehren des Sonnenkönigs gab, Selbstmord. Der Grund: Der Fisch war zu spät in der Küche angekommen. Die Gastronomie geriet erst im Laufe des 18. Jahrhunderts in Mode und war hauptsächlich den vielen Königen, Zaren, Herzögen und Neureichen vorbehalten. Diese leisteten sich den Luxus eines eigenen Chefkochs.

Vor diesem Hintergrund wuchs Jules Gouffé auf, als Lehrling des berühmten Chefkochs Antonin Carême. Dieser hatte als erster sehr ausführlich über das Mastkalb geschrieben, und zwar in seinem Buch "Le Livre de Cuisine" aus dem Jahr 1867, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Gouffé befasst sich in einem langen Kapitel ausführlich mit dem Kalb! Dabei wird vermutlich zum ersten Mal der Begriff "glace de viande" verwendet. Er verwendet dafür 3 kg Unterschale vom Kalb, 3 kg Kalbskeule und 3 kg Rinderbrust. Das Fleisch, das später aus der Flüssigkeit herausgenommen wird, verwendet er für "le grand bouillon". Gouffé erwähnt dabei, dass er dies von M. Crouhat gelernt habe, dem Chefkoch der Herzogin von Berry auf dem Schloss von Rosny. Über Kalbfleisch im Allgemeinen schreibt Gouffé: "Akzeptiere vom Metzger nur ordentlich weißes und fettes Kalbfleisch. Das Fett darf nicht matt, sondern muss durchsichtig sein. Die Lieblingsgerichte dieses Chefkochs aus dem 19. Jahrhundert sind Veau rôti, Blanquette de veau und Veau à la bourgeoise. Und da wir hier zum Wesenskern der französischen Küche durchdringen, möchten wir unseren Lesern das Rezept nicht vorenthalten.

Veau à la bourgeoise

Dafür eignen sich Fleischteile wie Nuss und Quasi. Das Fleisch mit fettem Speck spicken und in einen 5-Liter-Topf geben. Mit 2 l Bouillon aufgießen und eine Kalbshaxe dazu legen. Zum Kochen bringen und danach Möhren, Zwiebeln, Nelken, ein doppeltes Kräutersträußchen, Salz und Pfeffer zugeben und das Ganze auf schwacher Flamme unter einem nicht ganz geschlossenen Deckel 3 Stunden garen lassen. Das Fleisch mit einem glühend heißen Deckel abdecken, sodass es Farbe bekommt. Das Fleisch 5 bis 6 Mal mit der Jus beträufeln. Mit einer Stricknadel kontrollieren, ob das Fleisch schon gar ist und dieses anschließend auf eine Schale legen. Die Jus durch ein Spitzsieb passieren, das Fett abschöpfen und die Jus zur Hälfte einkochen lassen. Für eine schöne Farbe einen Teelöffel Karamell zugeben. Die Möhren in gleich große Stücke schneiden und den Faden vom Fleisch abwickeln. Die Schale mit den glacierten Zwiebeln garnieren und mit der Jus bedecken. Den Rest der Sauce für den nächsten Tag aufheben.

Sein Buch "Ma Cuisine" machte Auguste Escoffier berühmt. Er war ein Schüler von Jules Gouffé und tat im Grunde nichts anderes als das Buch seines Lehrmeisters zu kopieren und mit eigenen Texten zu ergänzen. Ma Cuisine, das später in viele Sprachen übersetzt wurde, gilt noch heute als Standardwerk der Gastronomie und es steht bei nahezu jedem Koch im Bücherregal. Das größte Verdienst von Escoffier bestand darin, dass er die französische Küche einem breiteren Publikum zugänglich machte. Die Zeit, in der er lebte, war günstig, denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten immer mehr Menschen lesen. So entstand die bürgerliche Küche. Plötzlich erschienen Hunderte von Kochbüchern, die sich auch mit dem Kalb beschäftigten. Damit wurde das Kalb definitiv ein Bestandteil der Esskultur.

Wir befinden uns in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie sieht das Mastkalb zu dieser Zeit aus? Die Antwort finden wir im "Larousse Illustré", dem führenden französischen Lexikon von damals. Larousse sagt: "Die Farbe des Kalbfleisches variiert, je nach Ernährung und Alter, von weiß über rosa bis rot. Die beste Fleischqualität liefert ein circa 2 bis 3 Monate altes Kalb, das mit Milch aufgewachsen ist. Lehnen Sie das Fleisch eines "gosselin" ab, eines Kalbs, das im Alter von 8 bis 21 Tagen wegen seiner Haut getötet wurde. Das Fleisch eines solches Kalbs ist gelblich und ohne Nährwert, das Fett ist seifig und klebt an den Fingern." In einem Handbuch für Metzger aus dem Jahr 1936 lesen wir: "Ein Kalb, das nach der Geburt für die Mast als Fettkalb ausgewählt wird, bekommt nichts anderes als Vollmilch und je nach Region einige Eier. Das schlaffe, billige Fleisch eines neugeborenen Kalbes wird unter anderem als Rohstoff für die Zubereitung von Wurst und für Bouillon verwendet.

Bis jetzt hat das Kalb eine festliche gastronomische Rolle gespielt. Kalbfleisch ist nur in sehr begrenzter Menge erhältlich und somit nicht für jeden erschwinglich. Ein Kälbchen wird, oftmals auf Bestellung, beim Bauern mit kostbarer Milch und einigen Eiern großgezogen. Aber die Welt ist in einem rasanten Wandel begriffen.

Die neuen Kälbermastbetriebe entstehen insbesondere auf kargen Sandböden. Für diese Regionen war es ein Segen, die Bauern dort konnten einen neuen wirtschaftlichen Impuls gut gebrauchen und außerdem war Kälbermist sehr gern als Düngemittel gesehen. Es zeigte sich sogar, dass die künstliche Milch für die Kälber besser war als die Milch von Kühen aus kargen Regionen, die nur ganz wenig Eisen enthielt. Der künstlichen Milch konnten immerhin alle erforderlichen Mineralstoffe in den richtigen Dosierungen zugesetzt werden. Zu Beginn der 1960er-Jahre verlegten sich immer mehr Bauern auf die Kälbermast und auch die Anzahl der Plätze pro Bauer stieg an. Aufgrund des Erfolgs stellte sich ein ungehemmtes Wachstum ein, das schon bald nicht mehr kontrollierbar war. Wegen der erhöhten Nachfrage nach Milchkälbern stieg auch der Preis kräftig an. Außerdem waren die Futterkosten in die Höhe geschossen. Andererseits sorgte das große Angebot an Schlachtkälbern für niedrigere Erträge. Bei den Marktpreisen gab es starke Fluktuationen, was wiederum zu Spekulationen führte. War der Preis niedrig, hielten die Kälberhalter ihre Tiere zurück, sodass die Anlieferung bei den Schlachthäusern ins Stocken geriet. Einmal konnten diese ihre Kunden nicht beliefern, und ein anderes Mal war das Angebot wieder viel zu groß. Mehrere Kälberhalter stellten ihre Tätigkeiten ein, weil die Risiken zu groß wurden. Das war die Geburt der integrierten Produktionskette. Die Kälbermilchhersteller, Kälberschlachthöfe und Händler hatten so viel in die neue Branche investiert, dass weit reichende Entscheidungen getroffen werden mussten. Sie beschlossen, das wirtschaftliche Risiko der Kälbermäster zu übernehmen. Die meisten bis dahin selbstständigen Kälbermäster wurden Vertragsmäster und erhielten fortan ein festes Entgelt für ihre Investitionen und ihre Arbeit. Die Hersteller kümmerten sich um die jungen Milchkälber, deren Nahrung und Betreuung und holten die fertigen Mastkälber auch wieder ab. Allmählich entwickelte sich diese neue Branche zu einem überaus professionellen Wirtschaftszweig.

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