Milch und Kälbermilch

In Europa werden jährlich 136 Millionen Tonnen Milch produziert. Nur 12,4 % davon gelangen als Trinkmilch in die Geschäfte. Käse ist das wichtigste Produkt, für das 36,1 % des Milchsees verwendet werden, gefolgt von Butter (28,7 %) und Sahne (11,5 %).

Wie wir bereits gesehen haben, ist der moderne Kälbersektor aus drei Produkten entstanden, die früher als Abfallprodukte angesehen wurden: dem Stierkalb, mit dem der Bauer nichts anfangen konnte, der Molke, die bei der Käseherstellung anfiel, und dem Magermilchpulver, das bei der Produktion von Butter übrigblieb. Die Kombination von Molke und Magermilchpulver, angereichert mit Fetten, Vitaminen und Mineralstoffen, erwies sich als eine ideale "Kunstmilch" zum Füttern von Kälbern. Aber wird das auch die Zukunft sein?

Der Welt der Milchprodukte stehen turbulente Zeiten bevor. Milchprodukte und Lebensmittel, Milchprodukte und Futtermittel, jahrelang befanden sich diese in einem perfekten Gleichgewicht. Neue Technologien werden immer dafür sorgen, dass nicht benutzte Milchkomponenten auf einmal interessant werden, sogar im Non-Food-Bereich. Molke war vor sechzig Jahren quasi ein wertloses Produkt, doch heutzutage ist ebendiese Molke in starkem Maße ausschlaggebend für den Ertrag einer Käserei. Und wird Laktose (Milchzucker) in der Pharmaindustrie als Füllstoff für Tabletten verwendet. Und das in einer Zeit, in der sehr viele Tabletten geschluckt werden! Stark im Kommen ist das entzündungshemmende Eiweiß Lactoferrin aus der Kuhmilch. Es wird als Konservierungsstoff benutzt, wird in der Chemie zum Binden von freien Eisenionen verwendet und kommt massenhaft in der alternativen Medizin zum Einsatz. Lysozym ist ebenfalls ein antimikrobielles Protein, das heute schon in der Mundpflege angewandt wird. Letzteres gilt auch für Lactoperoxidase und Immunglobuline. Das Lactoserum aus dem Kolostrum (der Biestmilch) hat sowohl eine antibakterielle als auch eine heilende Wirkung und wird immer häufiger angewandt. Dank moderner Membrantechniken ist es möglich geworden, sogar kleinste Teilchen zu isolieren. Niemand weiß, wo diese Entwicklung enden wird. Fakt ist aber, dass Milch immer interessanter und deshalb teurer werden wird, insbesondere in Bezug auf die Bestandteile, die früher nahezu wertlos waren. Nur die Nachfrage nach Milchfett geht weltweit zurück, der Verzehr von Butter ist seit Jahren rückläufig, sodass vielleicht weniger Magermilchpulver zur Verfügung stehen wird. Erwartet wird, dass das Molkepulver, ein wichtiger Bestandteil der Kälbermilch, immer weiter zerlegt wird. Molkepulver wird künftig nicht mehr mit dem derzeitigen Molkepulver vergleichbar sein. Alles in allem steht die Kälbermilchindustrie vor einer großen Herausforderung, mit der sie sich schon jetzt intensiv beschäftigt.

Die Biestmilch

Sobald ein Kalb geboren wird, kommt es darauf an, dass es von der Mutter möglichst viel Biestmilch bekommt. Das ist die erste Milch, die eine Kuh nach der Geburt gibt und sie steckt randvoll mit wichtigen Abwehrstoffen, die das Kalb stärken sollen. Heutzutage ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Kalb zwei Wochen lang bei der Mutter bleiben muss, um Biestmilch zu trinken. Nach diesen zwei Wochen werden sie in einen spezialisierten Kälbermastbetrieb gebracht und bekommen dann eine Kälbermilch, die möglichst viel Ähnlichkeit mit der Kuhmilch hat. Darin sind unter anderem Milchzucker, Stärke, Fette, eine Kombination aus Eiweiß (aus Milch, Soja und Getreide), Vitamine und Mineralstoffe enthalten. Immer mehr Kälberhalter geben ihren Kälbern dann schon täglich eine Portion Raufutter, spätestens nach einigen Wochen, weil es sich positiv auf die Kälber auswirkt. Auf diese Weise lernen sie das Wiederkäuen, wodurch sich wiederum die Darmflora gut entwickeln kann. Nach dieser Anfangsphase wiegen die Kälber etwa 80 kg. Allmählich geht man jetzt auf eine Kälbermilch mit einem anderen Verhältnis von Fetten und Eiweißen über. Die Eisenmenge in der Nahrung kann dann etwas reduziert werden. Anhand von Proben wird der Hämoglobingehalt im Blut eines jeden einzelnen Kalbs regelmäßig getestet. Die Kälber, die rosa Kalbfleisch liefern sollen, bekommen nach acht bis zehn Wochen ausschließlich Raufutter ohne Milch. Die anderen Tiere, die weißes Fleisch liefern sollen, werden weiterhin mit einer Kombination von Kälbermilch und Raufutter gefüttert.

Kälbermilch

Um einmal die Produktion von Kälbermilch in vollem Gange verfolgen zu können, besuchen wir Navobi. Die Innenausstattung dieser Fabrik besteht hauptsächlich aus gigantischen Silos und endlos vielen Rohrleitungen, die allesamt von einem Kontrollraum mit zahllosen Bildschirmen aus gesteuert werden. Das Herz des Unternehmens nennt sich "Luco". Das ist ein gigantischer Sprühturm. Oben in diesem Turm wird die ausgewählte Mischung an Trockenstoffen zerstäubt, eine Etage tiefer werden sehr feine Fettteilchen auf den herunterwirbelnden Trockenstoff gesprüht, wodurch jedes Körnchen Trockenstoff mit einer mikroskopisch dünnen Fettschicht überzogen wird. Unten im Turm wird die inzwischen gekühlte Zusammensetzung aufgefangen. "Luco" produziert etwa 400.000 Tonnen pro Jahr. Wenn man diese Menge auf Silofahrzeuge verteilen würde, ergäbe dies einen LKW-Stau von Amsterdam bis Paris und zurück. Die Kälbermilch ist nun fertig und wird zu einem bereitstehenden Silo transportiert oder in Säcke abgefüllt. Für die Tatsache, dass ein Teil der Kälbermilch in Säcke abgefüllt wird, gibt es eine logische Erklärung: Die Säcke sind vor allem für Frankreich bestimmt, wo die Tanklaster sich nicht über die schmalen Bergwege schlängeln können. Wir nehmen eine kleine Kostprobe und merken, dass die Kälbermilch angenehm schmeckt. Man kann daraus sogar leckere Crêpes backen. Das Pulver enthält einen Hauch von Vanille, was nicht nur Menschen, sondern auch die Kälber lecker finden. Draußen herrscht reges Treiben mit Tankwagen, aber auch diese Aktion wird sorgfältig gesteuert. Aus jedem Silofahrzeug werden an unterschiedlichen Stellen und Tiefen Proben entnommen, sodass eine homogene Probe des ankommenden Rohstoffes entsteht. Diese Probe geht ins Labor und wird für mehrere Tests verwendet. Das hochmoderne Labor ist groß und besteht aus zwei Stockwerken. Im Erdgeschoss werden die chemischen Analysen durchgeführt, und im 1. Stock erfolgen die mikrobiologischen Tests. Insgesamt sind hier zehn Laboranten beschäftigt. Die Fahrer warten derweil in der Kantine und können auf einer digitalen Anzeige ablesen, ob ihre Lieferung genehmigt wurde und sie ihre Fracht löschen können. Sämtliche Daten werden gespeichert. Das ist wichtig für die vollständige Rückverfolgbarkeit vom einzelnen Fleischteil bis zum Milchkalb. Von jedem einzelnen Kalb ist bekannt, welche Kälbermilch es aus welcher Lieferung an welchem Tag bekommen hat, welche Rohstoffe darin enthalten waren, wer die Kälbermilch geliefert hat, usw. Alle untersuchten Proben werden im Labor für die Dauer von 9 Monaten aufgehoben. In Sachen Lebensmittelsicherheit geht man hier wirklich sehr weit.

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